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Schweiz auf dem Weg zur 10-Millionen-Grenze: Was das Bevölkerungswachstum bedeutet

Die ständige Wohnbevölkerung wird die 9-Millionen-Grenze in der ersten Jahreshälfte 2024 knacken, schreibt die UBS in einer neuen Studie. Die „magische“ 10-Millionen-Marke könnte dann bereits Mitte der 2030er-Jahre erreicht werden. Eine solch hohe Kadenz der Bevölkerungsentwicklung zieht Bodenknappheit nach sich, beflügelt folglich die Wohnimmobilienpreise und verteuert die Wohnungsmieten. Aus historischer Sicht sind diese Schlussfolgerungen aber nicht zwingend.

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Cemil Baysal – Die Schweiz hat einen neuen Meilenstein erreicht: Im Jahr 2040 könnte die Schweiz mehr als 10 Millionen Einwohner haben. Seit Juni zählt das Land offiziell neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.


Von dieser Gesamtzahl sind etwa 6,5 Millionen Schweizerinnen und Schweizer. Im Jahr 2022 kamen 190.000 Personen neu in die Schweiz, wobei 6.532.926 Personen die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzen, während 2.369.382 Personen einen ausländischen Pass halten.

Laut Statistiken sind Frauen mit 4.483.581 Personen in der Wohnbevölkerung leicht stärker vertreten als Männer, von denen 4.418.727 in der Schweiz leben. Bei den Ausländerinnen und Ausländern überwiegen mit 1.243.103 zu 1.012.279 Personen leicht die Männer, während es bei Personen mit Schweizer Pass mit 3.357.302 mehr Frauen als Männer (3.175.624) gibt.

In regionaler Aufschlüsselung leben die meisten Personen im Espace Mittelland mit 1.935.816 Millionen, gefolgt von der Genferseeregion (1.720.783), Zürich (1.595.334), der Ostschweiz (1.229.219), der Nordwestschweiz (1.216.005), der Zentralschweiz (848.477) und dem Tessin (356.674).

Der Zustrom neuer Einwanderer erhöhte sich seit dem vergangenen Jahr, nachdem die Zuwanderung pandemiebedingt abgenommen hatte. Im Jahr 2022 kamen 190.500 Personen ins Land, wobei knapp 20.000 davon rückkehrende Schweizerinnen und Schweizer waren.

Das Bevölkerungswachstum der Schweiz wird in den kommenden Jahren hauptsächlich von einer Gruppe vorangetrieben: den Rentnern. Bis 2040 wird die Zahl der über 65-Jährigen voraussichtlich um 700.000 Personen zunehmen, was einem Wachstum von 40% entspricht. Im gleichen Zeitraum wird die Zahl der potenziellen Arbeitskräfte (20- bis 64-Jährige) nur um 230.000 Personen steigen, ein Wachstum von 4%. In Anbetracht einer zunehmenden Tendenz zur Teilzeitarbeit könnte dies auf eine Stagnation der Anzahl an Arbeitskräften hinauslaufen. Die Konsequenz ist eine wachsende Lücke auf dem Arbeitsmarkt.

Die Schweizer Bevölkerung nähert sich bald der von Österreich, wo Anfang des Jahres offiziell 9.106.126 Menschen lebten. Das Land hat derzeit einen Ausländeranteil von 19 Prozent, was 1.730.286 Menschen entspricht. Rund 2,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in Österreich, was 26 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht.

Die Bevölkerung der Schweiz ist seit 1955 insgesamt um knapp 4 Millionen Personen gestiegen, was durchschnittlich 0,8 Prozent pro Jahr ausmacht – mehr als doppelt so stark wie in Europa. Nur zwischen 1975 und 1977 war die Bevölkerungszahl rückläufig.

Die ständige Wohnbevölkerung wird die 9-Millionen-Grenze in der ersten Jahreshälfte 2024 knacken, schreibt die UBS in einer neuen Studie. Die „magische“ 10-Millionen-Marke könnte dann bereits Mitte der 2030er-Jahre erreicht werden. Eine solch hohe Kadenz der Bevölkerungsentwicklung zieht Bodenknappheit nach sich, beflügelt folglich die Wohnimmobilienpreise und verteuert die Wohnungsmieten. Aus historischer Sicht sind diese Schlussfolgerungen aber nicht zwingend.

Aus der langjährigen Entwicklung seit Mitte der 1950er-Jahre lassen sich fünf wichtige Implikationen des Bevölkerungswachstums für den Immobilienmarkt ableiten:

Fakt 1: Mieten stiegen stärker als Konsumentenpreise Die Mietpreise sind von 1955 bis 2023 doppelt so stark gestiegen wie der Landesindex der Konsumentenpreise. Über einen rollenden Zeitraum von fünf Jahren haben sich die Mieten in der Realität praktisch durchgehend verteuert, mit Ausnahmen gegen Ende der 1970er- und 1990er-Jahre.

Fakt 2: Löhne stiegen stärker als Mieten Die Lohneinkommen stiegen seit 1955 rund 80 Prozent stärker als die Wohnungsmieten. Das jährliche Wachstum der Löhne lag damit inflationsbereinigt bei fast 1,4 Prozent, während es bei den Mieten knapp 1 Prozent betrug, was das Wohnen im Durchschnitt erschwinglicher machte. In der letzten Dekade jedoch stiegen die Mietpreise Hand in Hand mit der Lohnentwicklung.

Fakt 3: Kaufkraft schlägt sich im Flächenkonsum nieder Dank steigender Kaufkraft erhöhte sich auch der Flächenkonsum pro Person deutlich. Die durchschnittliche Haushaltsgröße sank von 2,9 auf 2,2 Personen. Als Folge davon stieg die durchschnittliche Wohnfläche zwischen 1970 und 2022 von 30,0 auf 46,5 Quadratmeter pro Person.

Fakt 4: Wohnungsqualität hat zugenommen Die tatsächlichen Mietausgaben stiegen seit 1970 im Durchschnitt doppelt so stark wie der qualitätsbereinigte Bestandsmietindex. Dies resultierte zum einen aus größer gewordenen Wohnungen – die Zunahme der Fläche dürfte im Durchschnitt aller Mietwohnungen über 10 Prozent betragen haben. Zum anderen waren Mieter bereit, für eine verbesserte Qualität und Ausstattung der Wohnungen tiefer in die Tasche zu greifen.

Fakt 5: Gute Lagen schwingen bei Mietanstiegen nicht obenaus Die Mieten in den Großstädten sind nicht stärker gestiegen als im Landesdurchschnitt. Der Mietpreisindex für die Stadt Zürich stieg seit 1955 insgesamt sogar 20 Prozent schwächer als der nationale Mietpreisindex des Bundesamts für Statistik. Auch die Wohnausgaben entwickelten sich in den Städten Zürich und Genf schwächer als im Schweizer Durchschnitt.

Gründe für die moderate Mietentwicklung

Die Annahme, dass Bevölkerungswachstum automatisch zu einer Verteuerung des Wohnraums führt, lässt sich zumindest anhand der Daten der letzten 70 Jahre nicht bestätigen. Dies liegt vor allem an zwei Hauptgründen:

Die Schweiz hat über diesen Zeitraum hinweg genügend Wohnraum geschaffen, um das Bevölkerungswachstum aufzunehmen. Seit Erreichen der 5-Millionen-Grenze im Jahr 1955 wurden insgesamt 3,3 Millionen Wohnungen gebaut. Pro zusätzlicher Million Personen kamen zwischen 560.000 (2012 bis 2023) und 1,3 Millionen (1967 bis 1994) neue Wohnungen hinzu.

Parallel zum Bevölkerungswachstum wurde die Verkehrsinfrastruktur massiv ausgebaut. Dadurch hat sich der Erreichbarkeitsradius der Zentren vervielfacht, was als Ventil für den Miet- und Preisdruck wirkt. Das Angebot an attraktiven Lagen konnte und kann dank dieser Fortschritte stark erweitert werden.

Bevölkerungswachstum kann Wohnimmobilienwerte beflügeln

Was für Mieten gilt, muss nicht für Wohnimmobilienpreise gelten. Denn Bevölkerungswachstum bietet einen Nährboden für überproportionale Preissteigerungen an stark begehrten Lagen. Erstens nimmt mit zunehmender Verdichtung und einem Ausbau der Infrastruktur der Wert des Bodens zu, was Landpreise in die Höhe treibt. Eine Aufzonung von Wohngebieten führt zu deutlichen Wertsteigerungen. Zweitens kann ein nationaler oder globaler Zuwachs an vermögenden Haushalten einen kontinuierlichen Nachfrageüberschuss, insbesondere nach exklusiven Lagen, generieren. Wenn sich immer mehr vermögende Haushalte für eine begrenzte Anzahl gut angeschlossener Lagen mit einmaliger Aussicht oder direktem Seeanstoss interessieren, steigt die marginale Zahlungsbereitschaft für solche Objekte. Drittens kann die Verstädterung auch die Kaufpreise von Wohnimmobilien in der Agglomeration anheizen. Denn Bevölkerungswachstum und größere Wohndichte erhöhen die Marktliquidität und senken so das Vermietungsrisiko, was die Zahlungsbereitschaft für Renditeliegenschaften steigert.

Die nächste Million: dieses Mal anders?

Der Haupttreiber des aktuellen Nachfragewachstums nach Wohnraum ist die internationale Migration – im Gegensatz zum letzten Jahrhundert, als der Geburtenüberschuss stärker für den Bevölkerungsanstieg verantwortlich zeichnete. Daher steigt die Wohnungsnachfrage relativ zum Bevölkerungswachstum stärker als früher und konzentriert sich vermehrt auf die Grosszentren und deren Agglomerationen. Der hohe Immigrationsanteil am Bevölkerungswachstum und die Alterung der Gesellschaft führen gleichzeitig dazu, dass sich der Trend zu kleineren Haushalten in der mittleren Frist fortsetzen wird. Dementsprechend dürfte die Nachfrage nach kleineren Wohneinheiten überproportional steigen.

Zwickmühle Raumplanung

Während in der Vergangenheit jeweils genug Wohnraum geschaffen wurde, stellt die momentan tiefe Bautätigkeit und historisch gesehen relativ strikte Raumplanung dies zumindest für die nächsten Jahre in Frage. Um bei gleichbleibendem Flächenkonsum Wohnraum für eine zusätzliche Million Einwohner zu bieten, müssten angesichts des Trends zu kleineren Haushaltsgrößen bis Mitte der 2030er-Jahre bis zu 60.000 Wohnungen pro Jahr erstellt werden. Das aktuelle Niveau von rund 35.000 bewilligten Neubaueinheiten in den letzten vier Quartalen stimmt diesbezüglich wenig optimistisch. Im Sinne der Raumplanung müssten diese Wohnungen zudem auf bestehendem Siedlungsgebiet verdichtet gebaut werden. Damit verbunden sind höhere Baukosten und längere Bewilligungsverfahren, was eine Erholung der Bautätigkeit erschwert. Wir gehen davon aus, dass mittels Neubau und höherer Ausnutzung des Bestands nicht mehr als 45.000 Wohnungen pro Jahr erstellt werden können. Kumuliert fehlen damit bis 2034 mindestens 150.000 Wohnungen.

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