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«Das Beste aus beiden Kulturen»

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Interview von Cemil Baysal

Fotografin: Valentina Pezzo

Die schweizerisch-kosovarische Autorin Shqipe Sylejmani (32) hat mit ihrem Roman «Bürde & Segen» den Nerv der Zeit getroffen und über das Leben in zwei Kulturen und zwei Welten geschrieben. Wir haben sie zum Interview getroffen.

In der Tat sind die Probleme, die Syleimani in ihrem Buch «Bürde & Segen» schilderte, eines der chronischen Probleme aller Immigranten. «Ausländer hier, Ausländer da», heisst es dann oft, und die betroffenen Personen werden als Heimatlose deklariert. Zum Beispiel werden europäische Türken, die im Sommer in den Urlaub in ihre Heimat ankommen, von den einheimischen Türken nicht als ‘Türke’ sondern als «Alamancılar», also ‘die Germanen’ bezeichnet. Fazit: in ihrer eigenen Heimat und in dem Land wo sie leben, sind sie Fremde. Wenn wir uns die Geschichte hinter Shqipe Sylejmanis Roman «Bürde & Segen» ansehen, stellen wir fest, dass dies auch in anderen Ländern und Kulturen der Fall ist.

Sie haben Ihre Erlebnisse nun in einem aufklärerischen Roman verarbeitet. Was haben Sie in diesem Buch erzählt?

In erster Linie wollte ich mit «Bürde & Segen» die albanische Kultur, die kaum bekannten Ortschaften und die Schönheit hinter dem Leben in zwei verschiedenen Kulturen aufzeigen. Dass dieses Leben «in zwei Welten» natürlich auch sehr viele Herausforderungen mit sich bringt, zeigt sich in den vielen Gedanken, die sich die Hauptfigur «Shote» immer wieder macht. Die Fragen des Lebens, so stellt «Shote» fest, können aber anhand alter und besonderer Weisheiten aus ihrer Heimat beantwortet werden. Die Anekdoten und Geschichten, die ihr die gastfreundlichen Menschen, die «Shote» auf ihrer Reise zurück in der Heimat erzählen, zeigen ihr auf, dass sie ihr Leben auch aus einer anderen Perspektive anschauen kann.


Wie fühlt es sich an, zwischen zwei Kulturen und Welten zu leben?

Im Kindes- und Jugendalter habe ich mich stets versucht, anzupassen. Zuhause befürchtete meine Familie, dass unsere albanische Kultur durch das Auswandern in die Schweiz zu kurz kommen würde, und so bemühte ich mich, diese so gut es ging aufrecht zu erhalten. In der Schule wollte ich nicht aus der Masse hervorstechen und gab mir Mühe, so integriert – und so wenig albanisch – wie nur möglich zu sein. Irgendwann aber kommt man an einen Punkt, wo man nicht mehr in zwei Welten leben und zwei Leben führen möchte. Und dann beginnt die Selbstfindung.

In zwei Welten zu Hause: Welche Schwierigkeiten haben die Kinder, die in der Schweiz aufwachsen oder geboren sind und lernen müssen, mit zwei verschiedenen Kulturen umzugehen?

Ich denke, dass es heute wesentlich einfacher geworden ist, da wir bereits vieles gelernt haben in den letzten 30 Jahren und so auch den Kindern heute bessere Möglichkeiten bieten, sich mit den beiden Kulturen auseinander zu setzen. Früher kannte ich keine Lehrer*Innen mit Migrationshintergrund – also sah ich mich dort nicht vertreten. Heute ist das ganz anders und die Lehrpersonen bringen bereits viel Kultur mit in die Schule.

Auch gibt es heute viele Vereine mit den verschiedensten kulturellen Aktivitäten, wo Kinder und Jugendliche gefördert werden. Es liegt an uns, den neuen Generationen die Möglichkeit zu bieten, sich das Beste aus beiden Kulturen anzueignen.


Vor 20-30 Jahren gab es nur sehr wenige ausländische Schüler in Schulklassen. Die Vorurteile gegenüber ausländischen Schülern existierten. Wie sieht es heute aus – sind Vorurteile weniger geworden?

Absolut! Es ist schön zu sehen, dass auch hier ein Wandel stattgefunden hat. Wie erwähnt – heute hat es kaum eine Schule, in der nicht eine Lehrperson einen Migrationshintergrund hat. Das ist wichtig, damit die Kinder sehen, dass sie vertreten sind. Wenn junge Menschen Namen wie ihre bei Lehrern, Politikern, Autoren und anderen Berufen sehen, wissen sie, dass dies erreichbar ist. Das gab es zu meiner Zeit kaum.

In Ihrem Roman erklären Sie, wie wichtig es ist, die Heimat zu kennen, um sich selbst zu finden. 

Dies war eine Erfahrung, die ich auch selbst machen musste – in meinem Eifer, mich anzupassen, dazu zu gehören und als «genug» zu gelten, habe ich meine eigene Kultur, und somit Identität, vernachlässigt. Erst als ich begann, mich mit meiner Heimat auseinander zu setzen, habe ich verstanden, welches «Opfer» viele Migranten der ersten Generation für ihre Familien erbracht haben. Diese Heimat wollte ich ergründen, sehen, was sie mir bieten kann, woher ich komme und welche Menschen dort leben. Und zwar nicht nur in der einen Stadt, aus der ich herkomme, sondern im Land – für mich sogar, in den Ländern, da Albaner ja in Kosovo, Albanien, Montenegro und Nordmazedonien leben.

Sie erwähnen sehr viele Anekdoten aus Albanien. Auch in der Türkei erzählen sich die Leute noch immer solche alte Weisheiten. Weshalb war das für Ihren Roman so wichtig?

Wir verlieren so vieles von unserer Heimat und unserer Identität, wenn wir in einem anderen Land leben. Beispielsweise diese Anekdoten: in den albanischen Ländern hört man üblicherweise in jedem Gespräch eine Redewendung oder eine Anekdote. Das gehört zu unserer Kultur! Ich habe diese Geschichten als Kind oft gehört, aber sie nie geschätzt – dabei haben sie wertvolle Nachrichten, die uns Antworten zu den Fragen des Lebens geben. In der Türkei war das ja vor allem der berühmte Hoxha Nasradini, der für seine Weisheiten bekannt war. Selbst bei uns, im albanischen Raum, wurden viele seiner Geschichten erzählt. Diese Erzählungen sind ein Band zwischen uns und allem, was unsere Kultur bisher erlebt hat. Und es ist in unserer Verantwortung, diesen wertvollen Teil als Erbe an die nächsten Generationen zu überliefern.

Weshalb der sehr provokative Titel «Bürde & Segen»?

Als ich das Buch zu Ende schrieb und nach einem Titel suchte, schien mir nichts passend zu sein. Plötzlich stellte ich mir die Frage, die ich mir als Jugendliche so oft gestellt hatte: War es eine gute oder eine schlechte Entscheidung meiner Familie, in die Schweiz auszuwandern? Und da war die Antwort ganz klar: beides. Es war eine Bürde: Denn nicht nur brachten sie damit das Opfer, ihre Familie, ihre Herkunft und ihre Kultur zurück zu lassen, sondern sie fühlten sich auch verantwortlich, auf die Menschen in der Heimat zu achten, ihnen mit allen Mitteln beizustehen. Für meine Generation bestand die «Bürde» darin, das Beste machen zu wollen aus diesem Leben – schliesslich hatte die Familie alles aufgegeben, damit man selbst nun bessere Chancen auf ein glückliches Leben hatte. Der «Segen» war, dass wir nun diese Möglichkeiten hatten: wir konnten der Heimat beistehen, finanzielle Hilfe leisten, ein Anker für die Menschen sein. Und: wir lebten in Freiheit. Der wohl schönste Segen.

Einige haben Vorurteile wegen ihrer äußeren Erscheinung, manche wegen ihrem Herkunftsland und andere wegen ihres Namens. In der Schweiz stehen Balkan-Staatsangehörige an der Spitze der Nationen, die Vorurteilen ausgesetzt sind. Die Mehrheit derjenigen, deren Nachname «ic» ist, werden abgelehnt, wenn sie einen Job, eine Lehrstelle oder eine Wohnung suchen. Waren Sie in Ihrem täglichen Leben diesen Vorurteilen ausgesetzt?

Rassismus ist in der Tat bis heute noch – leider – ein Thema. Ich selbst habe diesen genauso erfahren, wie viele Menschen in meinem engeren Kreis auch. Die erste Generation akzeptierte dies, denn sie fühlten sich als Gäste im neuen Land und wollten nicht auch noch Ansprüche erheben. Für meine Generation ist es anders: Die Schweiz ist unser Zuhause. Es gibt noch viel zu tun in diesem Thema – auch wenn sich glücklicherweise vieles gebessert hat. Doch nicht nur bei Rassismusfragen muss noch einiges getan werden – auch die Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist in der Schweiz noch nicht da, wo sie sein sollte. Wir alle ebnen den Weg für die neue Generation – deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit diesen Themen auseinandersetzen und eine bessere Zukunft für diejenigen nach uns

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